Lesezeichen 2009 - Eröffnungsreden
Rede
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Eröffnungsrede von Helmut Aßmann
Eröffnung zum Projekt Lesezeichen
Verehrte Anwesende,
ich freue mich sehr darüber, daß solch ein Projekt in unserer Stadt
durchgeführt wird. Der Text, der an unserer St. Andreaskirche angebracht
worden ist, paßt zudem auf vortreffliche Weise an diesen Ort. Das darf
ich namentlich auch unserer Kirchengemeinde sagen.
Dies alles ist nicht nur ein Lesezeichen im beiläufigen Sinn, es ist vielmehr
ein Zeichen der Mühe und der Sorgfalt im Umgang mit dem Wort, das wir scheinbar
so schnell im Munde haben. Unsere Sprache, die Worte, nicht die Wörter,
sie sind ein Geheimnis, das man hüten, pflegen, bestaunen und vor dem man
Ehrfurcht haben soll. Es ist kein Stoff, kein Material, kein Instrument. Wenn
man es auf diesen Nutzwert herunterbringt, dann verlieren die Worte ihre Kraft,
werden lahm und schal und albern. Wie sich das anhört, können wir
jeden Tag in den verluderten Sprachformen unserer Medien, aber in unserer eigenen
Alltagssprache verfolgen. Wir selber arbeiten bisweilen kräftig daran mit,
daß aus den Worten nur noch Wörter werden, aus der Anrede ein Gelaber,
aus dem Gespräch ein Austausch von Mitteilungen.
Das Wort ist etwas zutiefst Unselbstverständliches. Das ganze Universum
sonst schweigt. Nur wir Menschen können sprechen. So schön, faszinierend,
erschreckend oder betörend alles ist, was ist – es bleibt stumm.
Und was nicht gesagt ist, ist eben nicht gesagt. Daran wird deutlich, daß
das Wort eine schöpferische Kraft ist. Nicht umsonst beginnen unsere beiden
biblischen Testamente mit feierlichen Bezügen auf das Wort, durch das die
Welt geschaffen, durch das der Sinn gestiftet und durch das der Mensch zu Bewusstsein
gebracht wird. Das machen nicht Maschinen und Programm, sondern Worte, mit denen
wir angesprochen werden.
Man merkt das an den großen und bedeutsamen Worten unseres Lebens. Es
gibt nicht viele davon, aber wir können auf sie nicht verzichten. Ohne
sie verliert unser Dasein Kraft und Tiefe. Ich darf nur ein paar Beispiele sagen
und bitte Sie, die entsprechenden Passagen Ihres eigenen Lebens Revue passieren
zu lassen:
• das Versprechen – davon sollte man nicht viele geben; gebrochene
Versprechen sind nicht ungefährlich
• das Ja-Wort - ein Vertrag ersetzt das nicht, und eine noch so intensive
Geschenkkultur reicht nicht an dieses einfache Wort heran: Ja, du, dich meine
ich
• das Urteil – ein gefälltes Urteil ist nur ein Wort, und doch
ist es eine Macht, die ein ganzes Leben ändert
• die Entschuldigung und die Bitte Vergebung – daß sie so
schwer zu sagen sind, macht uns deutlich, welche Kräfte sie tragen und
auslösen
• der Schwur – nicht umsonst wird im Neuen Testament davor gewarnt,
ohne Not zu schwören; ein Schwur ist noch bindender als ein Versprechen;
und wer solche Verbindlichkeiten ignoriert, ist alles Vertrauen los
• das Bekenntnis – was einer glaubt, denkt, wofür er steht
und worauf er sich behaften läßt, ist nicht nur ein Begriff, sondern
immer auch sein Leben
Oder, um es an bestimmten biographischen Standardsituationen deutlich zu machen:
Welches Wort haben wir gehört, als wir
• das erste Mal unsere Liebe gestanden
• unsere erste Schuld eingestehen mussten
• unsere erste Niederlage einsteckten?
Die Worte, die uns da gesagt werden, vergessen wir in der Regel nie. Sie sind
wie Signale, die immer wieder aufflammen, wenn wir an ähnliche Situationen
kommen. Sie transportieren existentielle Qualitäten durch die Lebenszeit
hindurch und setzen Wegmarken an unseren geistigen Pfad. Deswegen gilt es auch
umgekehrt sorgsam und umsichtig zu sein, wenn es an uns, ein erstes Wort zu
diesem oder jenem zu sagen.
Es ist nicht wahr, daß Worte und Namen Schall und Rauch sind, auch wenn
Goethe uns das ins Bildungsbuch geschrieben hat.
Es ist nicht wahr, daß es auf die Begriffe nicht ankommt, nur weil sich
niemand die Mühe macht, genau zu sagen, was er meint.
Es ist nicht wahr, daß am Ende die Lautstärke entscheidet, selbst
wenn es möglich ist, die guten Worte niederzubrüllen.
Es ist vielmehr wahr, daß ein gutes Wort Zeit braucht, um zu entstehen,
und oftmals eine andere Zeit, um gesagt zu werden. Und wenn es Stunden, Tage
oder Wochen braucht, um das gute Wort zu finden, dann war es diese Zeit auch
wert.
Es ist ebenso wahr, daß es auf Genauigkeit ankommt, denn je genauer wir
sagen können, was unser Anliegen ist, je mehr Worte wir zur Verfügung
haben, um auszudrücken, was wir erleben, empfinden und erkennen, um so
reicher ist die Welt in der wir leben.
Und es ist schließlich wahr, daß ein gutes Wort der Liebe bedarf,
sonst kommen nur Mitteilungen heraus.
Ich wünsche den Lesezeichen, daß sie ihren Lesern einen Geschmack
von der Schönheit unserer Sprache und eine Ahnung von der Kraft unserer
Worte vermitteln können. Ob unerwartet oder nach längerem Verweilen,
ist einerlei: geschwiegen wird im ganzen All, dahingeredet wird in der ganzen
Menschheit, das gute Wort zu finden ist immer auch ein schöpferischer Augenblick.
Aus Gottes Hand, wie als Christ gerne hinzufügen möchte.
Helmut Aßmann